„Es hat sich viel getan! Es hat sich gut entwickelt.“
Blau und Gold. Das sind die beiden Farben, die den Wiener Barber aus Leidenschaft Arthur Brauner seit der Gründung seines eigenen Unternehmens begleiten. Von der Einrichtung über die Leuchtschrift bis zur Website. Blau und Gold. Das sind die Tische, der Boden, die Bar und selbst die Wanddekorationen in seinem 2017 an der Lerchenfelder Straße 139 eröffneten Friseur- und Barber-Shop, der seit etwas über einem Jahr unter dem neuen Namen „Roots and Razors“ weit über die Grenzen Wiens hinweg Furore macht. Blau und Gold und vieles mehr: ARTHUR BRAUNER ist ein veritables Multitalent. Dass er aber einmal einer der angesagtesten Barber der Stadt werden würden, hätte sich der Mittdreißiger noch vor zehn Jahren kaum träumen lassen.
Von Angela Heide; Fotos: Joshua Hayes (2) & Berenice Pahl (2)
Wien – Salzburg – Wien (und ein bisschen Berlin)
1986 in Wien geboren, wuchs Arthur Brauner zuerst in Wien-Ottakring auf, ehe er noch als Kind zuerst nach Salzburg Stadt und dann aufs Salzburger Land zog. Ottakring war, erinnert er sich heute, in seiner Kindheit bei Weitem noch nicht so „verhippstert“ wie heute – aber „ich genieß es“, verrät er, dieses neue Wiener Lebensgefühl, und so wohnt er auch heute wieder im „Heimatbezirk“ Ottakring, von dem er in nur wenigen Minuten im eigenen Barber-Shop in der Lerchenfelder Straße ist.
Arthur Brauner ist 16, als er erneut nach Wien zurückkehrt, um die Koch-Kellner-Ausbildung zu absolvieren. Als der Betrieb, bei dem er seine Lehrer begonnen hat, schließen muss, geht er noch einmal nach Salzburg, um die Lehre abzuschließen und dann seinen Bundesheerdienst zu absolvieren. Von da an geht es in eine Reihe von Jobs, von der Lagerarbeit über den Getränkehandel bis hin zu Trockenbau und Fliesenlegen in Berlin. 2011 kehrt er wieder zurück nach Österreich und nach Wien, ohne genau zu wissen, wohin es ihn ziehen wird. „Und dann, ausgelöst durch einen Friseurbesuch, nach dem ich sehr unglücklich war, meinte ein Freund: ,Wenn du so unzufrieden bist, dann lern es doch einfach selbst.‘ Das war eigentlich der ,opening moment‘, an dem ich mir gedacht habe, ja, das macht mir Spaß, ich mag die Kultur dahinter – und so bin ich auf die Suche nach einem Ausbildungsplatz gegangen.“
Es ist genau die Zeit, in der sich in ganz Europa eine Trendwende spüren lässt und die fast in Vergessenheit geratene Barbier-Kunst eine Renaissance erlebt. „Mir war damals schon klar: Ich mache eine klassische Friseurlehre, aber sobald die Ausbildung absolviert ist, spezialisiere ich mich auf das Barber-Gewerbe.“
Die Suche dauert dann aber fast ein Jahr, denn Arthur Brauner ist zu diesem Zeitpunkt „schon 26“, und kein Unternehmen nimmt den „Quereinsteiger“ auf. „Ich bin dann auf das Headquarters in der Schleifmühlgasse gestoßen und habe dort die Ausbildung absolviert.“
Bereits kurz vor dem Ende seiner Ausbildung beginnt Arthur Brauner, in einem damals neuen Wiener Barber-Shop zu arbeiten. „Zwei Tage in der Woche war ich von da an im Barber-Shop tätig und drei Tage in der Ausbildung. Und so bin ich dann auch direkt nach der Ausbildung Vollzeit in diesen Barber-Shop gewechselt.“
Nach einem Jahr intensiver Arbeit, beendet er seine erste Anstellung im neuen Beruf jedoch. „Es war mir einfach zu viel, so zu arbeiten“, reflektiert er in der Rückschau seine damalige Entscheidung; „ich wollte keine Massenabfertigung machen, die mir die Lust nimmt, sondern mir Zeit nehmen für meine Kunden.“ Er wechselt noch einmal für kurze Zeit den Beruf, beginnt aber parallel dazu, bei sich zu Hause Freunde zu betreuen – und rasch ist sie wieder da: die Leidenschaft, die in jedem Wort, jedem Gespräch und jeder Geste des beeindruckenden Wiener Jungbarbers zu spüren ist.
Nächtliche Entscheidung
Gerade zu diesem Zeitpunkt spricht ihn seine ehemalige Ausbildnerin an, ob er nicht Lust hätte, gemeinsam ein eigenes Unternehmen zu gründen. „Ich hab’ eine Nacht darüber nachgedacht, und dann war klar: „Ja, das mach ma!“ Die nächsten Schritte sind ein Businessplan – und die Suche nach einem passenden Geschäftslokal. Die erweist sich als alles andere als einfach, denn die Ablösen in den angebotenen Friseurläden sind horrend, und es ist den beiden Gründer*innen auch rasch klar, dass sie mit ihrem neuen Konzept und ungewöhnlichen Ideen in den meisten der angebotenen Traditionsunternehmen auch den Kundenstock nicht übernehmen werden können. So geht die Suche einige Zeit weiter, ehe über das Portal „freielokale.at“ der Wirtschaftskammer das Geschäft in der Lerchenfelder Straße 139 auftaucht. „Wir haben uns das angeschaut, und da das Lokal zu diesem Zeitpunkt schon eineinhalb Jahr leer gestanden hatte, war es ein wirklicher Rohbau. Rasch wurde klar, dass die Eigentümerin keine Gastronomie mehr drin haben will, und für unsere Visionen war es einfach perfekt.“ Auch die Größe schreckt das junge Power-Duo nicht ab, „denn hier ist einfach vieles möglich, von der Vergrößerung des eigenen Unternehmens bis zu einem Shop-im-Shop-Konzept.“ Auch einen beachtlichen Teil der nun folgenden Renovierungsarbeiten übernimmt die Eigentümerin, etwa den Einbau der Wasseranschlüsse im hinteren Teil des Shops, dem unter Straßenniveau gelegenen heutigen Herrenbereich.
Umgebaut wird fast ein halbes Jahr, eröffnet wird im September 2017 – noch unter einem anderen Namen.
Dass der Betrieb so großartig anlaufen würde, wie er es in den folgenden Monaten tut, ist keiner*m der beiden Gründer*innen klar. Das Konzept geht auf – und „Camaur & Brauner“ startet binnen weniger Wochen richtig durch. Doch nach drei Jahren verändert sich alles noch einmal, denn die Partnerin von Arthur Brauner kehrt in ihre Kärntner Heimat zurück – der nächste entscheidende Schritt für den Jungunternehmer steht also an, und 2020 entscheidet er sich, diesen auch zu gehen: Er übernimmt das Unternehmen alleinverantwortlich, nennt den Betrieb in „Roots & Razors“ um und eröffnet im Mai 2020 den neuen, selbstständig geführten Betrieb. „Das war damals alles mitten im Lockdown, doch es gab nur zwei Möglichkeiten: Wir verkaufen den Laden, oder ich trau’ mich, diesen Schritt zu gehen. Und ich hab’ gesagt, ja, ich schaff’ das. Wir haben so viele Stammkunden, warum soll ich etwas zusperren und aufgeben, das so gut läuft?! Ich hab’ aber natürlich zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht gewusst, dass nach Lockdown 1 auch noch Lockdown 2, 3 und 4 kommen …“
Der Mut hat sich ausgezahlt: „Wenn im letzten Jahr offen war, dann war hier die Hölle los.“ In den restlichen Monaten ist die Situation jedoch extrem angespannt, denn obwohl der Betrieb derselbe ist, muss Brauner im Zuge der Übernahme als alleiniger Eigentümer auch die Rechtsform ändern – und das heißt für die Covid-Entschädigungsbehörde, dass die Einnahmen der drei vorangegangenen Jahre nicht angerechnet werden. Noch heute ist er mit dem Thema befasst und versucht, zumindest einen Teil der ihm zustehenden Covid-Entschädigung nachträglich einfordern zu können. Und dennoch ist er sich sicher, dass es der richtige Weg war. „Ich habe überlebt. Und ich habe auch meine Mitarbeiterinnen nie gekündigt und sie sogar früher als geplant aus der Kurzarbeit zurückgeholt; das war mir wichtig, und wir haben auch wirklich sehr viel zu tun gehabt, wenn ein Lockdown wieder zu Ende ging.“
Auch das Sommerloch 2021 ist weniger zu spüren als in den letzten Jahren. „Aber insgesamt ist ein Friseur nicht mit einem Lokal zu vergleichen. Denn wenn jemand heute schneiden war, kommt er morgen nicht wieder, während ich in ein Lokal jeden Tag gehen kann.“
„Ich will, dass der Kunde sich hier bei uns aufgehoben fühlt.“ Arthur Brauner
Auch die Entscheidung, nicht mehr Fließbandarbeit leisten zu wollen, sondern sich wirklich Zeit für seine Kunden zu nehmen, hat sich ausgezahlt, und das nicht nur für ihn selbst. „Es ist, entgegen allen Klischees, bei den Männern gar nicht still. Hier wird genauso viel getratscht. Und wir pressen bei uns keinen Mann zwischen zwei Frauen rein, sondern wir trennen bei uns – auch räumlich deutlich sichtbar – die beiden Bereiche, und ich nehme mir für jeden Kunden Zeit und bediene wirklich nur einen nach dem anderen. Ich habe für jeden Kunden Minimum eine Dreiviertelstunde eingeplant. Und selbst, wenn ich dann gar nicht so lange brauche: Ich nehme mir die Zeit. Da wird auch nichts und niemand dazwischengeschoben. Und wer zu früh kommt, hat den wunderbaren Luxus, bei uns im Garten auf seinen bzw. ihren Termin warten zu können.“
„All over Vienna“
Die Provenienz seiner Kund*innen ist „quer durch die Bank“, verrät Arthur Brauner. Und sie kommen nicht nur aus dem Grätzel, sondern aus ganz Wien – und darüber hinaus. „All over Vienna“, formuliert er es stolz und erzählt weiter: „Ich habe von Studenten über den Primar in Pension und ITler, die angestellt sind, bis hin zu natürlich sehr vielen Kreativen quer durch die Bank alles an Kunden. Ich habe sogar einen Stammkunden, der seit 2015 alle paar Wochen extra aus Linz zu mir kommt und mich auch in allen Phasen der Neugründung(en) begleitet hat. Heute kommt er nur noch alle acht Wochen, da die Haare länger wurden, früher kam er sogar alle vier Wochen. Fahrt nach Wien – Haarschnitt und Kaffee – Fahrt zurück: Auch so etwas gibt es“ – und das macht glücklich und ist eine Bestätigung für all den Einsatz.
Aber auch Unternehmer aus der Lerchenfelder Straße kommen heute zu Roots & Razors. „Und auch das ist etwas unglaublich Schönes hier in der Straße: Wir empfehlen einander bei unseren Kundinnen und Kunden. Und wir tun das, ohne dass wir uns darüber im Vorhinein absprechen, sondern weil wir das, was die anderen anbieten und tun, einfach sehr schätzen.“
Auf die Frage, ob er skeptisch war, seinen Betrieb in Gürtelnähe an der Lerchenfelder Straße zu eröffnen, meint Arthur Brauner „Jein“ und erläutert seine damaligen Überlegungen: „Ich hab’ die Lerchenfelder Straße früher als das ,Stiefkind‘ des siebten Bezirks bezeichnet. Die Straße war und ist auch noch immer nicht so ,hip‘, wie es andere Straße und Gassen im Bezirk, auch durch die Unterstützung durch die Bezirkspolitik, sind. Doch dann kamen nach und nach Unternehmen wie der Red Wing Store oder Whitefeather, der Radplatz und die Pizzeria La Spiga, die beide inzwischen vergrößert haben – und man hat gemerkt, dass es nun einen Aufwärtstrend gibt. Es entwickelt sich, und es entwickelt sich zu etwas sehr Positivem.“
Und: „Wir haben einen Garten! Und welche Friseur kann von sich sagen, dass er einen 40 Quadratmeter großen Garten mit Ausblick in einen Park – und nicht mit Ausblick auf die nächste Häuserwand hat.“ Brauner weiß, wovon er erzählt. „Wir haben uns Läden angeschaut, bei denen der Hinterhof ein mal drei Meter groß war, und dann war schon die nächste Häuserwand vor der Nase … Und auch unsere Kund*innen genießen diesen Garten und die Aussicht in den Park unheimlich.“
Mit der in den letzten Jahren realisierten Aufwertung des Josef-Strauss-Park wurde jedoch nicht nur der eigene kleine Garten zu einer beliebten Erlebnisoase, in der es dank des lebendigen Treibens vor den Gittern auch mal etwas angeregter zugehen kann, „es hat sich die ganze Gegend hier absolut positiv entwickelt“, erzählt Arthur Brauner und verweist auf seinen jüngsten Nachbarn, die Firma Stielreich, die neben ihrem Laden in der Kaiserstraße 90 um die Ecke nun auch in der Lerchenfelder Straße 137 zu finden ist. „Und die Menschen, die zum Beispiel von der nahen U6-Station hier in die Straße kommen, bleiben stehen, weil der Laden neu und wirklich einladend gestaltet ist. Und wenn sie stehen bleiben, schauen sie natürlich auch gleich, hey, was ist eigentlich daneben … Ich bin also sicher, dass sich auch dieser Teil der Straße noch sehr gut entwickeln wird.“
Was für Arthur Brauner von Beginn an gut funktioniert hat, sind diese sozialen Netzwerke, die weit über das reine gegenseitige Empfehlen hinausgehen − und weit über die Lerchenfelder Straße. „Das ist es, was es ausmacht: dieses Geben und Nehmen, ohne dass das jemand verlangt und ohne diesen Zwang zu ,netzwerken‘. Ein wichtiger Aspekt ist dabei sicher auch, dass ich mit diesen subkulturellen Strukturen aufgewachsen bin, dank derer man sich gegenseitig hilft, ohne je etwas dafür zu erwarten, dieser Selbstmachgedanke und das Bewusstsein, dass man alles richtig und gut machen will und dabei immer auch den anderen helfen will – das ist in mir so stark verankert, dass ich gerne anderen helfen, gerne andere empfehle. Und natürlich freue ich mich, wenn ich auch empfohlen werde, aber es darf nie zum Zwang werden, zum ,Business‘. Ich will ja auch, dass alle anderen Stores, die ich schätze, überleben. Und ich will auch, dass mein Unternehmen überlebt.“
„Ich bin super happy mit diesem Grätzel und will nie mehr wieder ausziehen.“ Arthur Brauner
Was ich mir wünsche
Gefragt, was sich Arthur Brauner für die kommende Zeit in der Lerchenfelder Straße wünscht, antwortet er mit der ihm eigenen mitreißenden Leidenschaft: „Ich liebe diesen Laden! Ich liebe es, in der Früh hier sitzen zu dürfen, meinen Kaffee zu trinken und dabei in den Park zu schauen. Ich liebe es, dass das auch meine Kunden genießen. Und das ist super viel wert! Und ich wünsche mir, dass es hier auch in den kommenden Jahren so positiv weitergeht wie in den letzten Jahren, dass es weiterhin ,bergauf‘ geht, dass weiterhin so viel coole, kleine neue Unternehmen eröffnen von Menschen, die den Mut haben, sich hier anzusiedeln und etwas Neues zu machen!“
Roots and Razors: Cut − Colours − Shave
Lerchenfelder Straße 139, 1070 Wien
www.rootsnrazors.com