Unternehmer*innen im Porträt: Marc Warnaar

Ein urbanes Eck zum Verlieben

Wer heute an der Ecke Lerchenfelder Straße und Kaiserstraße steht, wird ihn kaum übersehen können: den Radplatz, der seit knapp einem Jahr hier zuhause ist. Eingang an der Ecke, dunkles, von Schwarz und Braun dominiertes warmes Innenraumdesign, Räder, Zubehör, eine Werkstatt – und ein Gründer und Betreiber, den man vom ersten Lächeln an nicht so schnell vergisst. Marc Warnaars Akzent verrät, dass der Jungunternehmer Wien erst kennenlernen musste. Dass er sich sehr bewusst das Lerchenfeld für seinen selbstständigen beruflichen Weg in dieser Stadt ausgewählt hat, erzählt er an einem Feiertag bei einem Interview mit der Lebendigen Lerchenfelder Straße. Denn unter der Woche ist es schwer für den Alleinunternehmer, zwischen Reparaturen, Verkauf und Servicegesprächen Zeit zu finden, über sich und seinen beruflichen Werdegang zu erzählen. Wie viel Begeisterung und Leidenschaft der visionäre Gründer in den neuen Betrieb gesteckt hat, erfährt man dafür relativ rasch. Denn die Geschwindigkeit, mit der Marc Warnaar seinen Radplatz aufgebaut hat, ist dann doch einigermaßen ungewöhnlich und ein wunderbarer Beweis, dass die lebendige Lerchenfelder Straße diesen Beinamen auch wirklich verdient.

Text: Angela Heide; Fotos: Berenice Pahl

Marc Warnaar wurde in den Niederlanden geboren und wuchs in der Nähe von Amsterdam auf, und den quasi lebensnatürlichen Fahrradbezug muss man vermutlich an dieser Stelle kaum betonen, meint der Radexperte gleich zu Beginn unseres Kennenlernens. „Ich bin mit dem Fahrrad schon zur Schule gefahren und hab’ als Kind schon gelernt, selbst Fahrradschläuche zu flicken, sonst kommst du dort einfach nicht in die Schule“, schmunzelt er, wenn er über seinen Einstieg in die faszinierende Welt des Rads erzählt. Er hat immer schon auch „Räder von Freunden repariert“, und so war der Weg, aus seinem Wissen einen Beruf zu machen, ein ganz natürlicher.
Marc lernt den Beruf des Kfz-Mechanikers und arbeitet zuerst in einer Kfz-Werkstatt, dann wechselt er für einige Jahre in den Jachtbau und baut Schiffe statt Räder. Bereits in den Niederlanden hat er für einige Zeit einen eigenen Betrieb inklusive Webshop und lernt das Thema berufliche Selbstständigkeit so auch relativ rasch gut kennen. Die frühen technischen, operativen und wirtschaftliche Erfahrungen helfen dann in Wien, schnell berufliche Fuß zu fassen und den großen Schritt zur eigenen Radwerkstatt im Lerchenfeld zu wagen.

2014 zieht Marc Warnaar nach Wien. „Ich kannte die Stadt schon von vielen früheren Urlauben und fand sie immer schon sehr schön.“ Es ist aber vor allem der Freundeskreis, „den ich hier aufgebaut habe“, der Marc hier bis heute hält und trägt, „es sind einfach viele sehr nette Leute“, die er kennen gelernt hat. Vielleicht ist es auch „ein bisschen ein Neuanfang, den ich damals gesucht habe“ und den er in Wien wagt.
In der Stadt angekommen, arbeitet er zuerst als Fahrradbote, ehe es ihn dann doch wieder zur alten Leidenschaft, dem Rad, treibt und er in einem Fahrradgeschäft als Mechaniker zu arbeiten beginnt. „Und irgendwann hab’ ich mir gedacht, ich würde das gerne auf selbstständiger Basis machen.“ Der technische Hintergrund ist da, die Begeisterung auch – und sogar der große Bekannten- und Freundeskreis ist binnen weniger Jahre in Wien aufgebaut, der den Wagemutigen emotional den Rücken stärkt. „Deutsch hatte ich nur ein Jahr in der Schule gehabt“, erzählt Marc, doch er macht sofort nach seinem Umzug mehrere Deutsch-Kurse, und es sind vor allem „die Arbeit, die Freunde und meine Freundin“, betont er, denen er sein heutiges nahezu perfektes Deutsch verdankt.

Das kleine erste Lokal an der Lerchenfelder Straße 129 findet Marc Warnaar durch Zufall im April 2019. „Wir sind damals in den Bergen gewandert und haben während des Spaziergangs über meine Pläne gesprochen und im Internet geschaut, was es denn so gibt. Und da hab’ ich es gefunden und mir sofort gedacht: Schön!“ Das Lokal „ist auf einer Einkaufsstraße, und es ist schön klein, was für mich vorerst sehr wichtig war, weil ich es ja allein halten musste.“ Nach seiner Rückkehr vom Wanderurlaub vereinbart Marc einen Besichtigungstermin – und ein paar Monate später zieht er auch schon ein. Geplant ist zuerst eine reine Fahrradwerkstatt, die der Radexperte im Alleingang führt. „Und es hat sofort wirklich gut geklappt“, und das, „obwohl mir einige Menschen gesagt haben, die Lage sei schlecht und das Lokal, in dem davor, soviel ich weiß, ein 3D-Drucker-Laden, für kurze Zeit ein Schuhgeschäft und noch früher der Eingang zu einem Club gewesen waren, zu klein. Aber ich war anderer Meinung: Ich fand die Lage immer cool, und ich finde sie immer noch toll.“ Mit ein Grund, warum der Unternehmer seinen kleinen ersten Wiener Standort bis heute behält, wenn auch derzeit nur noch als Lager. Rückblickend kann Marc allen Unkenrufen zum Trotz erzählen, dass hier „viele Leute vorbeikommen, in die Auslage schauen – und mitten in die Werkstatt“.
Auch noch während des Beginns der Covid-19-Pandemie ist Marc Warnaar im ersten kleinen Lerchenfelder Laden. „Und das war eigentlich gut“, denn als systemrelevanter Betrieb konnte er seine Werkstatt weiterhin offen halten. „Die Räder wurden dann einfach vor dem Geschäft abgestellt und von mir kontaktlos übernommen beziehungsweise wieder zurückgegeben. Und es war eigentlich viel mehr los, denn viele Menschen sind ab diesem Zeitpunkt wieder aufs Rad umgestiegen, um so den zu engen Kontakten in den öffentlichen Verkehrsmitteln zu entkommen.“ Zu diesem Zeitpunkt beginnt er auch erneut mit dem Verkauf von Fahrradzubehör. „Online habe ich zuerst vor allem Helme verkauft, rasch auch Click & Collect angeboten, und einmal pro Woche habe ich die Produkte sogar persönlich nach Hause geliefert. Ich bin immer montags mit dem Lastenrad durch ganz Wien gefahren – und alle waren zuhause!“

„Ich fand die Lage immer cool, und ich finde sie immer noch toll.“

Marc Warnaar

Die Entscheidung, den Standort schweren Herzens aufzugeben und nach einem größeren Lokal zu suchen, kam schon im Sommer 2020, denn zu diesem Zeitpunkt lief der Betrieb schon „so gut, dass ich, zeitlich, aber auch räumlich, viele Anfragen nicht mehr annehmen konnte.“ Das Geschäft war voll mit Rädern, die es zu reparieren galt, auf dem Gehsteig standen weitere, „und sogar mein Auto war voll, und irgendwann ging mir der Platz aus. Ich war motiviert, aber wenn du keinen Platz mehr hast …“ Der erste Gedanke war, einen zweiten Mechaniker anzustellen, aber auch dafür bot das Lokal nicht genügend Raum, „und wir wären einander nur im Weg gestanden. Also habe ich überlegt: Entweder mache ich weniger, nehme weniger Reparaturen an. Oder es ist der Zeitpunkt, mich nach einem größeren Lokal umzuschauen, damit ich ein wenig expandieren kann, einen Mitarbeiter anstellen kann und, ja, auch irgendwann einmal ein bisschen weniger arbeiten kann. Mein Leben lang allein zu arbeiten, war und ist nicht mein Ziel.“
Im kommenden halben Jahr beobachtet der Radexperte den Immobilienmarkt. Klar ist ihm, dass er in der Gegend bleiben will, denn hier ist er gut angekommen, gut aufgenommen worden, und das Unternehmen könnte nicht besser wachsen, auch wenn, ergänzt seine Lebensgefährtin, die „Lerchenfelder Straße nicht unbedingt zum Radfahren einlädt. Die Pfeilgasse ist der viel bessere Fahrradweg.“ Um also im Grätzel zu bleiben, entscheidet sich Marc Warnaar für ein wesentlich größeres Geschäft in der Pfeilgasse, besichtigt das Lokal mehrfach, macht genaue Pläne, wie es aussehen soll, und erhält auch die nötige finanzielle Unterstützung – doch letztendlich scheitern die Verhandlungen mit dem Vermieter. „Und heute bin ich auch froh, dass ich es nicht gemacht habe.“ Dass er kurz darauf nur wenige Meter weiter von seinem ersten Laden den idealen neuen Standort finden würde, war dann wieder eine Fügung der Stunde. „Ich habe gesehen, dass der bisherigen Mieter, ein Unternehmen für Sicherheitstüren – davor war hier ein Küchengeschäft und, was die meisten Menschen sicher noch kennen, ein Videospielgeschäft –, auszieht und hab’ ganz einfach die Hausverwaltung kontaktiert.“ Und es klappt erneut binnen kürzester Zeit, auch wenn es für Marc Warnaar „nicht schnell genug ging. Ich wollte unbedingt vor Beginn der Hochsaison, also spätestens im April 2021, hier einziehen, und ich hatte auch schon alles vorbereitet.“ Doch die aufwändigen und liebevollen Renovierungsarbeiten, von denen die meisten ebenfalls von ihm selbst durchführt, brauchen mehr Zeit als gehofft. „Wir haben zwar nicht nicht geschlafen – aber fast“, resümiert Marc die Umbauphase, die er für zwei Wochen anberaumt hatte und die dann vier Wochen brauchen – immer noch eine Rekordzeit, wenn man das heute mehrgeschossige schöne Ecklokal besucht. „Das ganze Geschäft lebt eigentlich von der Motivation und der vielen Arbeitskraft, die du hier reinsteckst“, ist sich auch Marcs Freundin und Mitarbeiterin Lisa Tragbar sicher, „sonst hätte schon das kleine Geschäft nicht funktioniert und sonst hättest du auch nicht in so kurzer Zeit so eine engen Kundenbindung aufgebaut, die dazu geführt hat, dass sie dir alle hierher gefolgt sind“.


Tatsächlich hat Marc Warnaar alle Kund:innen mitnehmen können – nur das mit dem Mitarbeiter hat zum Zeitpunkt, als wir einander kennenlernen, im Herbst 2021, noch immer nicht geklappt. „Ich bin noch immer auf der Suche“, verrät Marc, der jemanden braucht, der oder die wirklich viel Erfahrung mitbringt und auch mal die Werkstatt und das zusätzlich aufgebaute Verkaufslokal übernehmen kann, wenn er auf Außenterminen ist. Auch das Thema Lehre spielt hier eine große Rolle, denn auch wenn der derzeit hier tätige Praktikant sehr gut ist: Es geht viel Zeit in den Lehrbetrieb, die Marc aktuell als allein verantwortlicher Unternehmer schlichtweg nicht hat. „Tagsüber bin ich derzeit hauptsächlich im Geschäft, und morgens und abends bin ich in der Werkstatt, um die Reparaturen zu erledigen.“ Immerhin bietet das neue Lokal viele neue Möglichkeiten, die es noch auszuschöpfen gilt.

„Die Lerchenfelder Straße ist das ,Tor zum Siebten‘.“

Lisa Tragbar

War das Verhältnis Werkstatt zu Verkauf während der ersten Covid-Phase noch „70 zu 30, so ist es heute fifty-fifty“, erzählt Warnaar, der im neuen Lokal nicht mehr nur Zubehör, sondern auch Fahrräder in unterschiedlichen Preissegmenten anbietet. Ein großes Problem stellt derzeit die Tatsache dar, dass es „keine Räder auf dem Markt gibt. Im Falle einer Kundin wussten wir von Beginn an beide, dass sie auf jeden Fall sechs Monate lang warten muss, eine unheimlich lange Zeit; und aktuell musst du, wenn du ein Rad bestellst, das erst produziert werden muss, noch wesentlich länger warten, in manchen Fällen bis zu zwei Jahre“, berichtet Marc kurz vor Ende des zweiten „Corona-Jahres“. „Es ist ein Kombination aus Rohstoffmangel, der dazu führt, dass man gewisse notwendige Teile nicht bekommt, und Transport, der ebenfalls massiv beeinträchtigt ist. Es ist ein riesiges Puzzle, mit dem man es hier zu tun hat.“

Heute lebt Marc Warnaar in Fußnähe in der Josefstadt. „Und es gefällt mir auch super hier im Grätzel.“ Für ihn passt es, im „gemütlichen Achten“ zu wohnen, der für ihn typisch „Altwiener“ Flair versprüht, und an der dynamischeren „Neubauer Seite“ der Lerchenfelder Straße zu arbeiten. „Es ist auch ein anderes Publikum hier als etwa an der Josefstädter Straße, die Menschen, die die Straße nutzen, sind jung, und es gibt super coole Lokale und Geschäfte hier, zum Beispiel das Zakopane gleich gegenüber, Stielreich, die auch vor Kurzem eröffnet haben, Roots und Razors oder Omid, der direkte Nachbarn des ersten Lokals, der einen iranischen Supermarkt betreibt. Und bald eröffnet auch gleich gegenüber des neuen Radplatz, da, wo früher ein Sonnenstudio war, eine Anker-Filiale“, nennt Marc nur eine kleine Reihe an Orten, die für ihn der Beweis dafür sind, dass sich die Straße rasch und überaus positiv verändert. „Die Lerchenfelder Straße ist das ,Tor zum Siebten‘“, ergänzt Marcs Lebensgefährtin, die für den stetig wachsenden Betrieb die Buchhaltung übernommen hat.
Positiv aufgefallen ist dem leidenschaftlichen Radfahrer natürlich auch, dass in den letzten Jahren mehr Fahrradständer entlang der Straße montiert wurden, und sogar er persönlich wurde einmal gefragt, ob er noch einen Fahrradständer vor dem eigenen Laden brauchen könnte – nachdem Marc die Frage mit einem Ja beantwortet hatte, „kam nur zwei Wochen später ein weißer Bus mit zwei Herrn, die angefangen haben, Löcher in den Boden zu bohren. Und zwei Tage später waren Bügel da!“

Nicht nur die Helme sind hier fein sortiert …

Was sich Marc Warnaar für die Straße wünscht, ist eine „Begegnungszone“ – „und weniger Autos“, ergänzt Lisa Tragbar. Und es braucht mehr Zebrastreifen, meinen beide und nennen als Beispiel die jüngsten städtebaulichen Veränderungen an der Josefstädter Straße, die das Queren wesentlich vereinfacht haben. Eine Idee, die Marc Warnaar für den öffentlichen Raum direkt vor seinem eigenen Lokal noch hat, ist, die einladenden breiten Fenstersimse zu konsumfreien Sitzflächen umzugestalten. „Es ist wunderschön, hier in der Früh in Ruhe einen Kaffee zu trinken oder auch auf die Straßenbahn zu warten.“
Als Gründer einer Reparaturwerkstatt unterstützen Marc Warnaar und Lisa Tragbar auch zahlreiche neue Initiativen, die sich den Themen Nachhaltigkeit und damit „Reparieren statt Wegwerfen“ widmen, wie etwa das Reparaturnetzwerk, an dem er selbst als Wiener Fachbetrieb beteiligt ist. „Es sind derzeit rund 90 Betriebe in Wien“, freut sich der Jungunternehmer und wünscht sich eigentlich nur, dass die Teilnahme für Betriebe etwas vereinfacht werden würden.

An Visionen und Energie mangelt es Marc Warnaar nicht, und auch nicht an Wünschen und Ideen für die anstehenden Veränderungsprozesse des Grätzels. Mit seinem Radplatz ist nicht nur ein wichtiger und schöner neuer Ort an der Lerchenfelder Straße entstanden, sondern auch ein spannender Partner für die kommenden Jahre im lebendigen Lerchenfeld hier sehr gut und ideenreich angekommen.


Radplatz
Inhaber: Marc Warnaar
Lerchenfelder Straße/Kaiserstraße 106,
1070 Wien
Di.–Fr., 10–18 Uhr; Sa., 12–17 Uhr
+43/(0)1/961 26 19
info@radplatz.at
radplatz.at

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