Über das Ausbalancieren der Möglichkeiten
Als ich das erste Mal am Werkort vorbeigehe, ziehen mich schon die ungewöhnlichen „Vasen“ im Schaufenster an. Kunstobjekte, die zugleich dazu einladen, sie zu benutzen und die in ihrer widerständigen Schönheit jedes Mal eine andere Geschichte über Material, Form und Begegnung zu erzählen scheinen. Wenige Monate später sitzen und stehen in den Scheiben menschengroße Streichholzfiguren, die an Pinocchio erinnern und einen mal verschmitzt anlächeln, dann wieder tief berühren. Je nach eigener Stimmungslage. Die Auslage des Werkorts ist jedes Mal, wenn ich vorbeigehe, ein Fixpunkt für meinen Blick und meine Gedanken. Dass ich nicht die einzige bin, der es so geht, erzählt die Keramikkünstlerin Emese Székely, die das Atelier vor rund zehn Jahren unterhalb ihrer Wohnung eröffnet hat.
Text: Angela Heide; Fotos: Berenice Pahl
Geboren wurde Emese Székely 1967 in Marosvásárhely, Siebenbürgen, als Mitglied der dortigen ungarischen Minderheit, und mit den Eltern und ihrer Schwester spricht sie bis heute Ungarisch. „Rumänisch war meine erste Fremdsprache, auch heute freue ich mich noch, wenn ich jemanden Rumänisch sprechen höre. Das ist Erinnerung, und das fühlt sich gut an“, auch wenn die Kindheit bald schon von der langen Trennung von ihren Eltern überschattet war.
Da die Eltern das Leben im kommunistischen Regime unter Nicolae Ceaușescu Ende der Siebzigerjahre nicht mehr aushielten, entschieden sie sich für die Emigration. Sie gingen, vorerst noch ohne ihre Kinder, nach Österreich, erst nach über einem Jahr folgten ihnen die beiden Töchter nach. „Wenn ich jetzt davon erzähle, nach so langer Zeit“, erzählt Emese Székely, „merke ich, dass eigentlich mit dieser Trennung auch meine Geschichte als Künstlerin begonnen hat. Denn mein großes Thema sind Körper und Innenräume, und ich beschäftige mich immer wieder mit Körpern und Zwischenräumen und der Frage, was mit Körpern in der Isolation, in der Begegnung, in Konfrontation mit anderen Körpern passiert.“
Nach ihrer Übersiedlung nach Salzburg besuchten die beiden Mädchen, die rasch und unkompliziert Deutsch lernten, die Schule, wo sie auch maturierten. „Und danach bin ich zum Studieren nach Wien gegangen.“ Heute leben beide Schwestern in Wien-Neubau, und seit Kurzem haben sie in nächster Nähe auch ihre Arbeitsorte.
„Wir mussten alles zurücklassen. Ich habe außer meinen Erinnerungen gar nichts aus meiner Kindheit.“
Emese Székely
Mit 18 Jahren begann Emese Székely mit dem Studium der Theaterwissenschaft, „doch das war mir einfach zu theoretisch“. Der nächste Schritt war, einen Lehrer zu finden, bei dem sie Bildhauerei studieren könnte. „Und so bin ich auf Alfred Hrdlicka gestoßen. Ich bin bis heute hauptsächlich beim Ton geblieben“, erzählt die Künstlerin, die rasch schon während des Studiums dieses Material kennen und lieben lernt. „Das Spiel des Modellierens fasziniert mich bis heute, die Frage des Ausbalancierens der Möglichkeiten, und ist der Kern meiner künstlerischen Arbeit geblieben.“
Auch wenn Emese Székely, anders als zu Beginn ihres Studiums, heute kleinere Keramiken macht, arbeitet sie in Bereichen, die an die Grenzen des Machbaren gehen: „Ich versuche die Spannung so weit zu treiben, dass sie die Ränder des Möglichen erreicht, um zu schauen, ob ich das halten kann, ob das Material es hält, ob ich es auffangen kann und es noch zur Form kommt. Das ist ein lebendiger Prozess, für den ich als Künstlerin zwar den Impuls gebe, ihn aber nicht bis ins Letzte kontrollieren kann und so gefordert bin, wiederum auf das, was das Material tut, zu reagieren.“
Wie aus einer Überschwemmung ein persönlicher Glücksfall wurde
2010 hatte ein Unwetter die Lerchenfelder Straße schwer getroffen. Zahlreiche Geschäftslokale standen meterhoch in Wasser und Schlamm, und auch der Copyshop, der sich direkt unter der Wohnung der Künstlerin befand, wurde vollkommen überflutet. Der Mieter des Geschäftslokals gab auf und zog aus. „Und so stand das ziemlich feuchte Geschäft unter meiner Wohnung fast ein Jahr leer.“ Mit der Zeit trocknen die Wände, und so konnte ein Neustart riskiert werden.
Seit zehn Jahren arbeitet Emese Székely nun an der Lerchenfelder Straße 117, wobei sie sich bald schon dafür entscheidet, in den Schauräumen an der Straße nur noch an eigenen Projekten zu arbeiten und Kurse, Workshops und anderes hier nicht mehr anzubieten. Unter anderem auch, weil das Atelier zu klein ist, um mit ihrem Kursangebot über die Runden zu kommen. „Es braucht mindestens sechs bis sieben Teilnehmer:innen, damit sich allein das Anwerfen des Brennofens rentiert. Und manchmal stand ich, trotz Anmeldungen, dann nur mit zwei Teilnehmer:innen da.“ Andere Male holten die Teilnehmer:innen die selbst gefertigten Stücke nie ab. „Und ich bin dann auf ihnen sitzen geblieben und habe sie manchmal erst Jahre später und schweren Herzens entsorgt.“ So entscheidet sie sich schließlich, ihre Kurse an der Volkshochschule anzubieten. „Es ist von den Möglichkeiten, aber auch vom Raum her und nicht zuletzt preislich für alle Beteiligten wesentlich besser, und es bietet mir auch die Freiheit, in meinem Atelier wirklich nur noch an meinen Projekten zu arbeiten.“ Zusätzlich unterrichtet Emese Székely an einem Wiener Privatgymnasium Werkerziehung und freut sich, dass man seit Kurzem auch in diesem Fach maturieren kann. „Das Unterrichten ist für mich ein guter Ausgleich zu meiner eigenen Arbeit, ich muss mich hier mit jungen Leuten, ihren Wünschen, ihrem Potenzial beschäftigen und gewinne dadurch auch etwas Abstand zu meinen Themen.“
„„Ich denke, was uns alle ein bisschen berührt, unseren Blick ruhen lässt, uns gefangen nimmt, ist es wert, gemacht zu werden.“
Emese Székely
„Es ist wirklich ein Magnet“
Ihr Werkort ist in den zehn Jahren ein wirklicher „Werkort“ geworden, den heute nicht nur die Künstlerin, sondern auch ihre drei Söhne nutzen. Und auch wenn das Atelier nicht mehr als Workshop fungiert und nie als Verkaufsraum konzipiert war, erzählt Emese Székely, dass sie, „oft, wenn ich mit meinem Kaffee am Fenster meiner Wohnung sitze und hinunterschaue, Menschen sehe, die vor dem Fenster meines Ateliers stehen und die Auslage fotografieren.“ Und wenn sie selbst darin arbeitet und „die Vorhänge geöffnet sind, dann ist es wirklich ein Magnet, der die Menschen anzieht!“ Es sind vor allem Kinder, die, wenn sie vom Josef-Strauß-Park kommen, „so richtig an der Scheibe picken und schauen, was ich da tue. Es ist ein ständiger Dialog mit der Außenwelt.“
Heute ist Emese Székely dankbar über ihr Atelier an der Straße. Durch diese Präsenz kommen auch immer wieder neue und ungewöhnliche Aufträge herein, denn was dort gesucht wird, sind Keramiken, die etwas Besonderes sind. Die Objekte, die Emese Székely gestaltet, sind Unikate: „Jedes Objekt bleibt ein Einzelstück.“
Was Emese Székely von Beginn an an ihrer Arbeit fasziniert, ist, Objekte zu schaffen, an denen man nicht vorbeischauen kann, an denen der Blick oder die Hand hängen bleibt. „Da ist es dann egal, ob es eine große Skulptur ist oder ein kleines Schälchen ist, das ich angreifen will, weil es etwas Besondere ist.“
Wenn man der Künstlerin beim Erzählen ihrer Geschichte zuhört, wird mit all den kleinen Einzelheiten, den Windungen und Brüchen, den Rückschlägen und Glücksfällen und durch die Art, wie Emese Székely ihre Zuhörer:innen in ihren Bann zu schlagen weiß, immer klarer, warum einen diese kleine Auslage an der Lerchenfelder Straße und was sie zeigt, wenn man sie einmal entdeckt hat, nicht mehr aus dem Sinn geht. Wir kommen also wieder und schauen wohl noch ein Weilchen nach den abenteuerlustigen Steichholzmännchen, die wir ins Herz geschlossen haben. Aber das ist eine andere Geschichte.
Werkort
Keramikatelier Emese Székely
Lerchenfelder Straße 117, Ecke Enzingergasse 1, 1070 Wien
www.werkort.com
instagram.com/werkort