„Zwei Kinder und fünf Farben – das muss reichen“
Am winzigen Straßenatelier von Kerzenmacherin Martina Nikolić geht man vermutlich relativ rasch vorbei. Und das ist eigentlich schon ein Versäumnis, denn was sich hier auf wenigen Quadratmetern versteckt, ist ebenso faszinierend wie aufregend. Als „Geschäft“ bezeichnet Martina Nikolić ihr Atelier auch nicht, es sind vielmehr drei durch und durch gut ausgenutzte Arbeitsräume, die die gelernte Mediendesignerin hier seit fünf Jahren mit ihren immer wieder neuen Ideen zum Leben erweckt. Für ein Verkaufslokal, erzählt Martina Nikolić, wäre der Standort auch heute trotz des stetig wachsenden Kundenstocks und der immer lebendiger werdenden Lerchenfelder Straße nicht optimal. Dennoch schätzt die Handwerkerin die urbane Umgebung, in der sie seit Ende 2013 ihr berufliches Zuhause gefunden hat: „Es gibt neue Unternehmen und Lokale, und es hat sich in den letzten Jahren wirklich was getan.“ Doch wie kam die in Niederösterreich aufgewachsene gebürtige Wienerin, die seit über einem Jahrzehnt im Währing wohnt, eigentlich hierher? Allein auf diese Frage weiß Martina Nikolić eine lange und überaus spannende Geschichte zu erzählen.
Text: Angela Heide, Fotos: Berenice Pahl
Doch kein Theater
Martina Nikolić wird in Wien geboren, gefolgt von eine ganzen Reihe an Stationen, die ihre Kindheit und Jugend begleiteten: „Bisamberg, Korneuburg, Aspersdorf, Hollabrunn – und mit 20 wieder nach Wien“. Ihr eigentlicher Berufswunsch hätte sie fast ans Theater geführt – doch dann wird es die Höhere grafische Bundeslehr- und Versuchsanstalt, an der sie zur Mediendesignerin ausgebildet wird und während der ganzen Ausbildungszeit zwischen ihrem damaligen Wohnort Hollabrunn und der Schule in Wien pendelt. Es ist die Jahrtausendwende – und die Zeit des Übergangs vom klassischen Offset-Druck zum Digitaldruck, und Martina Nikolić steht noch „an der Maschine und mischt Farben. Und wir haben noch Bleilettern gemacht und Kupferstich – heute macht man das alles nicht mehr. Da wird ein Blatt gezeigt und erklärt: Schau mal, das war Kupferstich. Oder: Schaut mal, das sind Bleilettern … Wir haben noch an der Schreibmaschine gearbeitet … Gelandet bin ich dann in einer Druckerei, wo ich die Druckvorbereitung organisiert habe“, erinnert sie sich an ihren Start ins Berufsleben.
In der Druckerei hält es Martina Nikolić drei Jahre lang. Dann ist es in vielerlei Hinsicht zu viel, und die Junggrafikerin entscheidet sich, ihr Arbeitsfeld gänzlich zu wechseln und zu einer Aufgabe zurückzukehren, die sie bereits während ihrer Ausbildungsjahre kennengelernt hatte: die Kinderbetreuung. In den kommenden vier Jahren ist sie für die Betreuung zweier Kinder verantwortlich. Wieder heißt es pendeln, dieses Mal von Wien nach Klosterneuburg.
100 Stabkerzen für 5 Euro – und die Folgen
Als das ältere der beiden von ihr betreuten Kinder 14 wird, ist es für Martina Nikolić Zeit, erneut loszulassen. Wieder sucht sie nach neuen Herausforderungen – und findet diese über eine ganz private Erfahrung: Denn wie es der Zufall so will, ist Martina Nikolić mit Anfang 20 einem ehemaligen Mitschüler der „Grafischen“ begegnet – ihrem heutigen Mann – und rasch zu diesem nach Währing gezogen, wo das junge Elternpaar noch heute lebt. 2011 zieht das junge Paar in eine neue Wohnung. Neue Wohnung, das heißt: neue Einrichung. Auf der Suche nach dekorativen Gegenständen für das gemeinsame Eigenheim stoßen Martina Nikolić und ihr späterer Mann auf einen fünfarmigen Kerzenleuchter, der ihnen sofort gefällt. Die Kerzen dafür finden die beiden „in einem Wohndiskonter − 100 Stabkerzen für 5 Euro neunzig … passt schon, geht schon“, denken sich die beiden und nehmen das Großpaket Kerzen mit nach Hause. Als sie dann ihren schönen Leuchter einweihen, beginnt die ganze Altbauwohnung zu stinken. Nicht gleich ist zu erkennen, woher der eigenartige Geruch herkommt, doch nach einiger Suche ist klar: „Es sind die Kerzen! Wieso stinken die nach Benzin?“, fragt sich Martina Nikolić, die zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung hat, woraus Kerzen eigentlich gemacht werden. „Heute weiß ich, dass das wahrscheinlich billigste Erdölproduktion war.“
Martina Nikolić wirft sofort die ganze Packung weg. Und sie beginnt zu recherchieren, woraus Kerzen „eigentlich sind – und ob es Alternativen gibt“. Das Ergebnis ist ernüchternd: „Es gab nur eine Seite, auf der man Biomasse kaufen konnte, um Teelichter zu machen. Aber ich wollte ja Stabkerzen machen für meinen Leuchter!“
Martina Nikolić ruft bei mehreren Firmen an, ehe sie eine zwar darauf hinweist, dass die Herstellung von Stabkerzen viel zu aufwendig sei – aber man ihr ja einen 25-Kilo-Sack Wachs schicken könne, damit sie es einfach selbst einmal versucht. „Ok, hab ich gesagt“, erinnert sich Martina Nikolić.
Die Lieferung ist bald da, und Martina Nikolić beginnt zu Hause mit der Herstellung von Kerzen. Sie besucht einen „Workshop in einem Bastelgeschäft“, bei dem sie lernt, wie man Stabkerzen erzeugt, zieht für die Trocknung und Lagerung ihrer kreativen Schätze Schnüre in die Zwischenräumen ihrer Altbaudoppelfenster − „das war sicher für die Nachbarn sehr lustig anzusehen“ – und wirft in den kommenden Monaten wieder und wieder den Privatherd an, um ihr ersten eigenen Kerzen zu erzeugen.
Das Rapswachs, mit dem sie seit Langem arbeitet, hat dann, verrät sie, ihre Mutter entdeckt – „die ist eine richtige ,Finderin‘.“ Und auf die Frage, was man sich darunter vorstellen kann, erklärt die Expertin: „Es handelt sich um Rapsöl aus ganz Europa, das zusammengesammelt wird und dann nach Deutschland kommt. Dort kommen noch andere Zusätze dazu, die es braucht, damit es härtet. Ohne diesen Stoff wird es maximal ranzig, aber es härtet nicht mehr. Und so ist es ein rein pflanzliches Kerzenwachs, dem zum Beispiel auch kein Bienenwachs zugefügt wurde – ebenso wie reinem Bienenwachs auch kein anderes Wachs hinzugefügt werden darf.“
Ein nicht ganz gewöhnliches Gewerbe
2012 meldet Martina Nikolić ihr neues Gewerbe an – und merkt rasch: Auch hier zählt das, was sie macht, nicht zum ganz Gewöhnlichen. Sie braucht gleich vier Gewerbescheine – den für Kunsthandwerk – den sie noch heute hält –, einen als Lebzelterin (Lebensmittelgewerbe), einen als Kerzengießen (chemisches Gewerbe) und einen, um ihre Produkte verkaufen zu können (Markt- und Straßenhandel). Und auch der erste Markt – es ist der Christkindlmarkt am Hof – ist bald gefunden. Martina Nikolić verkauft hier Stumpenkerzen in drei Größen und nennt sie selbstbewusst „Biokerzen“. Und: Es läuft − auch wenn sie in diesem ersten Jahr noch „mit einem fetten Minus“ aussteigt.
„Ich glaube, mein erstes ,Null‘ hatte ich nach vier oder fünf Jahren – dann kam mein erstes Kind, dann mein zweites – und dann: Corona. Aber es geht sich heute aus.“
Martina Nikolić
Bald schon nehmen Nachfrage und Produktion eine Dimension an, die den eigens für das neue Arbeitsfeld eingerichteten Raum in der Privatwohnung sprengen. Bei einem Gespräch mit Freundinnen kommt dann die Idee, ein „Geschäft“ aus ihrem ungewöhnlichen Hobby zu machen – auch wenn in der Rückschau das herrlich ausgemalte „Geschäftsmodell“ dran ziemlich unrealistisch war. „Man hat viel Fixkosten. Man braucht das Material, die Geräte, Lagerplatz, Lagermaterial, Software, eine Website … Ich glaube, mein erstes ,Null‘ hatte ich nach vier oder fünf Jahren – dann kam mein erstes Kind, dann mein zweites – und dann: Corona. Aber es geht sich heute aus.“
Nach den Stabkerzen und den Stumpenkerzen – beide hat sie noch heute in ihrem Sortiment − spezialisiert sich Martina Nikolić mit der Zeit auf das Produzieren und Gravieren von Hochzeits- und Taufkerzen. Ihre große Liebe gilt dabei der Kalligrafie, auch wenn sie in ihren eigenen Augen nicht genug dazukommt.
Martina Nikolićs Kundenstock besteht aus „veganen, ökologisch bewussten, vor allem jüngeren Käufer*innen und aus einem älteren Publikum, dem das Material der Kerze selbst zwar nicht so wichtig ist, die aber das Handwerk lieben“. Im Laufe der Jahre entwickelt sie immer mehr kreative Produkte, sodass ein eigener Arbeitsort dringend notwendig wurde. Die erste Station ist 2013 ein Kellerlokal in der Albertgasse – doch nach nur wenigen Wochen ist klar: Die Räume sind viel zu nass, die gesamte Kerzenproduktion ist zerstört. „Vermietet wurden die Räume trocken, aber de facto war alles feucht – alle meine Kerzen hatten innerhalb von einer Woche Schimmel angesetzt – und es war August! Und im November beginnt der Weihnachtsmarkt …!“
„Es ist halt mit Auslage …“, sind die Worte ihrer Mutter, als sie Martina Nikolić fast zeitgleich mit dem Schnellauszug von einem nahegelegenen neuen Lokal, winzig, straßenseitig, ebenerdig und vor allem trocken, erzählt. „Was mach’ ich mit einer Auslage?“, ist die erste Reaktion der Kerzenmacherin, die ihren Standort bis heute als Atelier und nie als Verkaufslokal bezeichnet. Doch aus der Not heraus nimmt sie dann doch die neuen Räumlichkeiten in der Lerchenfelder Straße – und es passt vom ersten Moment an, auch wenn es winzig ist. 35 Quadratmeter und was alles hineingeht: ein kleiner Verkaufsraum, ein Lager-Büro oder Büro-Lager in der Mitte, in dem die Kerzen den letzten Schliff bekommen, etikettiert und gelagert werden, und am rückwertigen Ende die eigentliche Produktionsstätte, ein ebenfalls winziger Raum, in dem sich die Töpfe und Materialen stapeln.
Wie der Instantkaffee in die Kerze kommt
Die Produktion der Kerzen für den Weihnachtsmarkt schafft Martina Nikolić in diesem Jahr gerade noch. Aber das Gravieren muss sie dann dort „live“ machen – und erneut wird daraus ein veritabler Publikumsrenner – „ein Magnet, denn die Menschen haben es geliebt, mir zuzusehen, wie ich die Kerzen verziere“. Vor allem zieht es wieder neue Kund*innen an, die von nun an speziell kreierte Kerzen bestellen – und die Mundpropaganda noch einmal stark beleben.
Gestaltet werden heute alle Kerzen auf Wunsch ihrer Kund*innen, oft auch gemeinsam mit diesen, und Martina Nikolić schafft stets passende Motive, die sie dann auf unterschiedliche Weisen auf die Kerzen appliziert – „Bänder, Metallelemente, Perlen … kleben tu ich gar nichts“ –, um sie zuletzt zu bemalen oder – eine ihrer eigenen Kreationen – mit Kaffeepulver auszuschmücken. Fast wie Gold, ist eine der ersten Reaktionen fast aller Kund*innen, wenn man ihre ungewöhnlichen Kaffeepulverkerzen zum ersten Mal bewundern darf. Vieles macht Martina Nikolić dabei freihändig, für komplizierte, komplexere Motive gestaltet sie eigene Vorlagen, die meist wiederum auf die Kund*innen abgestimmt sind. „Schriften mache ich direkt. Die müssen sitzen!“
„Kommen und etwas gleich mitnehmen, das geht bei Taufkerzen zum Beispiel gar nicht, die ich noch gestalten muss.“
Martina Nikolić
Dass sie ihre Kerzen selbst färbt, ist für Martina Nikolić ebenfalls von Anfang an klar. „Mein erster Gedanke war, dass ich auch das Färben selbst übernehme und mit uralten Naturfarben, zum Beispiel Kurkuma und Indigo, färbe. Das Problem war: So schön die Farben auch sind: Sie sind nicht lichtecht. Das heißt, die Kerzen verändern die Farbe binnen weniger Stunden und bleichen total aus. Und nach einer Woche sind sie grau-beige …“ Wieder eine Erfahrung weiter, hat sich Martina Nikolić mit sich selbst auf eine kleine, feine Palette an Grundfarben geeinigt: Rot, blau, grün, schwarz und – die schwierigste Farbe – gelb sind ihre Kerzen, am beliebtesten sind aber von Beginn an die naturweißen Kerzen, auf die sie dann all ihre faszinierenden Gravuren zaubert. Gefärbt wird „mit speziellen Pastillen“, und bleiben einmal bei einer Produktion farbige Reste übrig, so verwertet Nikolić auch diese sehr zur Freude ihrer Kund*innen, die die in faszinierenden Mischfarben lagernden Wachsblöcke vor allem in den „bastelstarken Jahreszeiten“ nur zu gerne für den eigenen Bastelbedarf bei ihr abholen – zuletzt auch während der diversen Lockdowns, die das Recylingwachsregal binnen kürzester Zeit auf eine Minimum schrumpfen ließen. Alles wird wiederverwendet – und hat nicht zuletzt Martina Nikolićs eigenes Bewusstsein für nachhaltiges und umweltfreundliches Produzieren wesentlich mitgeprägt.
Leben kann sie trotz wachsendem allgemeinen Bewusstsein und einem zu beobachtenden Boom, was das Interesse an ihren Kreationen, aber auch am Selbermachen betrifft, dennoch bis heute nicht von ihrer Kunst. „Es ist ein geringfügiger Job, von dem ich ohne die Unterstützung meines Mannes nicht leben könnte.“ Solange die Kinder noch so klein sind, wird sich das trotz vermehrter Sichtbarkeit und einer immer größeren Menge an begeisterter Kund*innen nicht ändern, denn, so die zweifache Mutter, „ich kann nur bis 15 Uhr arbeiten und daher viele Anfragen gar nicht mehr unterbringen.“ Martina Nikolić rät daher auch allen potenziellen Kund*innen, sich „früh genug zu melden. Eine Kerzenkreation für wenige Tage später zu bestellen, das ist für mich nicht machbar. Ich kann nur so viel arbeiten, wie ich arbeiten kann. Daher sind zu kurzfristige Anfragen, wie es sie leider noch immer gibt, einfach nicht realistisch. Wenn jemand aber zwei Monate im Vorhinein anfragt, dann kann ich mir das noch sehr gut einteilen.“
Wenn die Kinder einmal größer sind, hofft Martina Nikolić, werde sich die Arbeitssituation verbessern und sich vielleicht auch wirtschaftlich rentablere größere Aufträge ergeben.
Auf einem Weihnachtsmarkt ist Martina Nikolić seit der Geburt ihrer Kinder nicht mehr gewesen, denn dafür bräuchte sie bis zu 15 Stunden pro Tag. Aber irgendwann, wünscht sie sich, ist sie auch dort wieder mit ihren dekorativen Live-Acts zu finden. „Bis dahin kommt man zu Weihnachten eben hierher in die Lerchenfelder Straße.“
Und das Lerchenfeld?
Ihr Lokal ist in den Augen der Kerzenmacherin bis heute nicht perfekt eingerichtet. „Wenn du kreativ veranlagt bist, ist alles nie perfekt genug.“ Und so hat sich mit den Jahren vieles im kleinen Verkaufslokal wieder und wieder verändert. Die Wandfarbe, die Form und Materialien der Regale, die Kerzen selbst, aber auch, dass Martina Nikolic mit der Zeit auch Kreationen anderer Kolleginnen in ihrem Sortiment aufgenommen hat.
Auf die Frage, was sich in den bald zehn Jahren in der Lerchenfelder Straße verändert hat, für sie persönlich, aber auch für die Region, ist Martina Nikolić ehrlich und erzählt, dass der Standort selbst, so gerne sie das Lokal und die Nachbarschaft hat, für sie nicht der ideale ist. „Wenn ich nur auf Laufkundschaft angewiesen wäre, würde ich nicht mehr hier sein. Es laufen einfach weniger Menschen hier vorbei als in anderen Teilen der Straße“, beobachtet sie. „Und ich bin auch genau zwischen zwei Straßenbahnstationen … Aber ich lebe derzeit vorwiegend von Auftragsarbeiten. Und die, die mich suchen, die finden mich dann auch.“
Paliti – Bio Kerzen e.U.
Martina Nikolić
Lerchenfelder Straße 65, 1070 Wien
www.bio-kerzen.at