„Geborgen in dem, was ich sehe und mache“: Interview mit der Fotografin Jana Enzelberger

Die Fotografin Jana Enzelberger über die Arbeit an der Einzelausstellung „Wiener Begegnungen“ im Treffpunkt Lerchenfeld im Gespräch mit Kuratorin Angela Heide.

Ich darf dich am Anfang etwas vermutlich sehr Banales fragen, aber ich tue es dennoch: Du fotografierst vorwiegend in Schwarzweiß, warum?
Für mich ist es vielleicht der kürzeste Weg, zum Wichtigsten zu kommen. Ich empfinde Farben, etwa in meinen Menschenporträts, aber auch in meinen Stadtfotos, meist als etwas, das mehr ablenkt als zur Konzentration führt.

Du hast eben schon beides erwähnt: deine Stadtbilder, die wir ja auch in der Ausstellung Wiener Begegnungen kennenlernen dürfen, und deine Porträts von Menschen. Wie unterscheidet sich dein Zugang?
Das sind zwei sehr unterschiedliche Dinge, und zugleich sind es die beiden Richtungen, die ich als Fotografin derzeit wohl am liebsten mache. Bei den Menschen, die ich porträtiere, ist es immer eine sehr intensive Begegnung, und es braucht die Bereitschaft von beiden Seiten, sich zu öffnen. So wie ich das mache, ist es aber auch ein sehr behutsamer, sehr empathischer Prozess, bei dem ich versuche, alle Signale zu spüren und alles aufzunehmen, was bei mir von dem Menschen vor der Kamera ankommt. Das ist eine sehr subtile Sache und unglaublich spannend.
Wenn ich mit meiner Kamera durch die Straßen gehe, um Stadtbilder zu machen, ist hingegen – und in der letzten Zeit wesentlich intensiver, ja, akuter – eine gewisse Nervosität der Menschen zu spüren. Sie spüren die Kamera, und das verunsichert. Daher fotografiere ich sehr selten Menschen auf der Straße bzw. in der Stadt, und viele der Fotografien, die man derzeit auf meiner Website, teilweise aber auch in der Ausstellung im Treffpunkt Lerchenfeld sieht, sind in den Monaten der Lockdowns und der „leeren Städte“ gemacht worden. Solche Fotos kann ich heute gar nicht mehr machen.
(Würde ich Menschen vorab fragen, ob ich sie bei einer Straßenaufnahme auch fotografieren kann, dann kann ich das Foto gleich vergessen. Was aber schon hie und da passiert, ist, dass ich ein Foto mache, das mich berührt, und dann eine Person, die zu sehen ist, im Nachhinein frage, ob es für sie passt. Und in vielen Fällen erkennt man auch die Person nicht. Für alle diese Möglichkeiten gibt es Beispiele in der Ausstellung.)

Du versuchst in deinen Bildern nie, „typische“ Stadtporträts zu machen, also bekannte, „klassische“ Sujets zu suchen, die eine Wiederkennung erlauben, aber eben auch leicht ins Klischee führen. Dennoch habe ich beim Betrachten der Bilder deiner Serie Wiener Begegnungen dieses Gefühl, dass ich Wien ganz intensiv spüre und sehe, auch wenn ich oft beim ersten Hinsehen gar nicht weiß, wo das Bild gemacht wurde. Beim zweiten Blick verraten oft Details viel über den Ort, es ist dieser „zweite Blick“, zu dem mich deine Bilder einladen, den ich auch von Beginn an sehr zu schätzen wusste.
Ich fotografiere tatsächlich das, was ich „sehe“, und das kann etwas ganz anderes sein, als man vielleicht glauben oder erwarten mag von einer Straße, einem Ort. Was mir zuletzt auch in der Arbeit in der Wachau aufgefallen ist, kann ich vielleicht so beschreiben: Ich brauche als Fotografin sehr viel Vertrauen, Geduld und Offenheit – das kann auf einer Straße sein oder auch an einem Ort. So habe ich etwa bei einem Heurigen das Gefühl gehabt, dass ich in dieser Stimmung des Neubeginns und eben „Aufatmens“ gerne eine Musikerin porträtieren würde, und plötzlich war sie da. Was ich dabei gelernt habe: Wenn du eine Motiv brauchst, dann findest du es auch.

In deinen Bildern thematisierst du immer wieder das „jüdische Wien“ von einst, etwa, wenn du ein Modell der zerstörten Synagoge in der Neudeggergasse fotografierst und dann auch die Stelle, an der sie einst gestanden hat – aber auch von heute, zum Beispiel eine Menora, die durch einen Schatten auf der Straße vor deinen Augen entsteht. Hat das etwas mit deinem eigenen Judentum zu tun oder mehr damit, wie du dich Wien annäherst?
Ich wusste schon in meiner Jugend um meine jüdische Herkunft mütterlicherseits, aber in Russland war das im Alltag kein Thema, außer, wenn in der Zeit, in der viele Menschen die Sowjetunion verließen, darüber gesprochen wurde, ob sie in den Westen oder eben nach Israel gehen. In Wien habe ich aber später einen sehr engen Freund gefunden, der sein Judentum ganz bewusst lebt und auch an seine Kinder weitergibt, und das hat mich in den letzten Jahren auch stark geprägt und mich mit meinem eigenen „Jüdischsein“ konfrontiert. Das trage ich sicher auch in meine Arbeit hinein.
Zum „Jüdischen“ und Wien kann ich ganz persönlich aber auch erzählen, dass ich eine Zeitlang auf dem Karmelitermarkt im zweiten Bezirk gelebt habe. Für mich war die dortige Atmosphäre, in der ich so viel vom einstigen jüdischen Leben in dieser Stadt gespürt habe, aber auch die Verfolgung, Zerstörung und Auslöschung massiv gefühlt habe, so belastend, dass ich es irgendwann nicht mehr ausgehalten habe. Diese Vergangenheit liegt, zumindest für mich, in der Luft. Ich habe damals aber noch nicht fotografiert, sondern erst viel später. Ähnlich ist es auch mit dem Bild der „Menora“ auf der Rotenturmstraße. Für mich war der historische Boden – auch der fotografische – schon da, denn genau von dieser Stelle gibt es Fotos, auf denen dokumentiert ist, wie Jüdinnen und Juden 1938 gezwungen wurden, den Boden der Straße zu schrubben. Als ich dann durch die Straße ging und diesen Schatten gesehen habe, der für mich so ein deutliches Symbol jüdischen Lebens ist, war das für mich sofort wieder präsent. Das Bild war quasi schon da, ich musste es nur mit meiner Kamera einfangen.

Ein anderes Motiv, das in deinen bisherigen Stadtporträts, vor allem den Wiener Bildern, immer wiederkehrt, ist das der Natur. Einer Natur auch, die sich im Stadtraum ihre oft kleinsten Räume wiedererobert, zwischen Betonritzen zum Beispiel, aber auch gefallene Blätter, die die sonst so „geregelte“ Gartenwelt städtischer Parkanlagen fast widerständig zu stören scheint. Wie wichtig sind dir diese urbanen Naturräume in deiner Arbeit?
Ich muss gestehen, dass ich gar kein „Naturmensch“ bin, aber als ich vor einem Jahr ein Burnout hatte, das fast zur selben Zeit begann wie der erste Lockdown, bin ich oft mit meiner Kamera spazieren gegangen, weil ich hinaus musste, entschleunigen musste, und dabei habe ich gemerkt, dass es für mich die beste Meditation ist, einfach nur ganz langsam durch die Stadt zu gehen und zum Beispiel diese Pflanzen am Straßenrand zu fotografieren. Man kann sich dabei auf das Hier und Jetzt konzentrieren und die Pflanzen wahrnehmen, an denen man ansonsten tagtäglich vorbeigeht und sie gar nicht bemerkt. Zugleich sind diese fotografischen Spaziergänge auch der Weg zu mir, der Weg, mich geborgen zu fühlen in dem, was ich mache, und in dem, was ich sehe.


Jana Enzelberger:
Wiener Begegnungen
Fotoausstellung
Treffpunkt Lerchenfeld, Lerchenfelder Straße 141, 1070 Wien
Vernissage: 15. Dezember 2021, 18:30 Uhr
Ausstellung bis 14. Jänner 2022
Öffnungszeiten: Die Ausstellung ist zu den Öffnungszeiten des Treffpunkt Lerchenfeld sowie nach Vereinbarung zu besuchen.
janaenzelberger.com

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